Autoren: Manuel Löwer, Tim Katzwinkel und Dominik Limbach
Die anhaltende politische und gesellschaftliche Forderung nach umweltverträglichen Produkten setzt Unternehmen zunehmend unter Druck. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen müssen nun schnell Lösungen für diese Anforderungen finden oder entwickeln. In diesem Beitrag wird daher ein methodischer Ansatz vorgestellt, der die bewährten Strategien agiler Produktentwicklungsmethoden mit den etablierten spezifischen Aktivitäten des sogenannten Ökodesigns (engl. „Ecodesign“) verbindet. Die Methodik wird zunächst theoretisch erörtert und dann anhand einer Fallstudie eines Handwerkszeugs in einem realen Unternehmenskontext experimentell evaluiert und diskutiert.
Mit der Verabschiedung des Deutschen Ressourceneffizienzprogramms hat die Bundesregierung eindringlich die Notwendigkeit bekräftigt, die Ressourceneffizienz entlang der Wertschöpfungskette für eine nachhaltige Gestaltung der Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland zu steigern. Hierbei wurde der Beitrag der Ressourceneffizienz zur Erreichung der Klimaschutzziele besonders hervorgehoben. Neben der Reduktion des Ressourceneinsatzes und von Umweltbelastungen geht es aber auch darum, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu stärken, um Wachstum und Wohlstand nachhaltig zu sichern [1]. Unternehmen sehen sich hierzulande einem zunehmend hohen Zeit- und Kostendruck im internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Im Gegensatz zu großen Konzernen sind für Kleinunternehmen, aufgrund der Unternehmensgröße und der Personalkapazitäten, Budget und eigene Expertise für die Umsetzung der politischen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsforderungen in besonderer Weise begrenzt. Während in der Öffentlichkeit die Forderungen nach kreislauffähigen und ökologisch nachhaltigen Produkten immer lauter werden, wollen die Kunden gleichbleibend hohe Qualität zu einem immer günstigeren Preis. Wie also können klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) zukünftig in kurzer Zeit nachhaltige Produkt- und Produktionslösungen entwickeln?
Bild 1: Beispiele für spezifizierte Indikatoren im Ecodesign anhand des Produktlebenszyklus
und exemplarische Einflussrichtungen.
Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das schaffen viele
Um das Thema nachhaltige Produktentwicklung für sich zu erschließen, sind KMU zunächst auf externen Input angewiesen. Das betrifft einerseits die fachliche Expertise in den beeinflussbaren Gestaltungsfeldern (z. B. Werkstofftechnik, Fertigungstechnologie) andererseits die Ermittlung des richtigen Ansatzes für einen größtmöglichen Wirkungsgrad der Maßnahmen [2]. Hierzu gibt es im EU-Raum auf europäischer und nationaler Ebene konkrete Förderinstrumente zur öffentlich mitfinanzierten Gestaltung der Produkt- und Prozesstransformation im Kontext Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Beispiele für entsprechende Maßnahmenpakete im deutschen Raum sind etwa die Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz, das BMUV-Umweltinnovationsprogramm oder die Ressourceneffizienzberatung der Effizienz-Agentur NRW auf Landesebene [3].
Als beratende Stellen können dabei sowohl Dienstleistungsunternehmen als auch Forschungseinrichtungen tätig werden. Ziel der Maßnahmen ist es, gerade im Fokus KMU, Unternehmen zur ressourceneffizienten Produktund Prozessoptimierung zu befähigen. Dabei besteht eine der größten Herausforderungen darin, dass die Ökobilanzierung selbst zwar bereits ein enormes Expertenwissen erfordert, jedoch aus sich heraus nur ein Analysewerkzeug darstellt und keine direkten Hinweise auf konkrete Verbesserungsmaßnahmen geben kann [4]. Um die Erkenntnisse aus einer Ökobilanzierung in zukünftige Produktentwicklungs- und Produktionsplanungsprozesse zu integrieren, müssen die dort ermittelten lebenszyklusbezogenen Kenngrößen in Bezug zu den domänenspezifischen Produkt- und Prozessattributen im Unternehmen gesetzt werden [5].
Bild 2: Schematische Darstellung des Design-Thinking-Prozesses und der Einflussbereiche
des Ecodesign Owners in den frühen Produktentwicklungsphasen.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Die potenziell höchsten Einflussfaktoren aus einer lebenszyklusbezogenen Ökobilanzierung (engl. „Environmental Hotspots“) entstehen durch unternehmens- und produktspezifische Indikatoren (z. B. Ressourcen, Abfall, Substanzen, Fertigungsprozesse, Zukaufteile) [6]. Dabei kann man zwischen direkten Einflussparametern (z. B. Werkstoffmenge), zentralen Einflussknotenpunkten (z. B. bezogener Strommix am Standort) und weniger wirkungsreichen aber sehr sensitiven Einflussknotenpunkten (z. B. Verwendung eines spezifischen Fertigungsverfahrens oder Verzicht) unterscheiden [ebenda]. Im Kontext des Produktlebenszyklus lassen sich diese Indikatoren besonders im Bereich der Produktentwicklung sowie in der Produktionsplanung weiter spezifizieren (Bild 1).
Einerseits beeinflussen vorhergehende Entscheidungen im Produktlebenszyklus die darauf aufbauenden, nachfolgenden Schritte. So führt beispielsweise eine getroffene Werkstoffauswahl in der Konzeptkonstruktion sinnvollerweise zur identischen Werkstoffverwendung in der Gestaltungsphase. Ebenso leuchtet ein, dass eine Festlegung der Fertigungstechnologie in der Gestaltungsphase (z. B. Oberflächenbearbeitung) die konkrete Maschinenbelegung bei der Herstellung direkt beeinflusst. Bei Produktfamilien und Produktgenerationsentwicklungen kommt es darüber hinaus jedoch auch zu einer Einflussnahme späterer Lebenszyklusphasen auf die frühen Phasen des nachfolgenden Produktlebenszyklus. So beeinflusst etwa der tatsächliche Servicebedarf der Kunden die Produktplanung der nachfolgenden Produktgeneration im Bereich Service. Gleiches gilt auch für den Zusammenhang zwischen geplanter Lebensdauer und tatsächlicher Nutzungsdauer. In Bezug auf das Ecodesign bedeutet dies, dass neben den Einflussparametern selbst auch die Zusammenhänge zwischen den Parametern unterschiedlicher Produktlebensphasen bzw. Prozessphasen Einfluss auf umsetzbare Strategien zur Steigerung der Nachhaltigkeit eines Produkts haben. So bestimmt die Demontierbarkeit eines Produkts beispielsweise nicht nur die Reparierbarkeit innerhalb der geplanten Lebensdauer, sondern auch die nachhaltige Nutzung darüber hinaus sowie eine partielle Wiederverwendbarkeit von Komponenten oder Werkstoffen im Sinne der Circular Economy.
Bild 3: Schematische Darstellung des SCRUM-Prozesses mit der
Einbindung der Rolle Ecodesign Owner.
Agiles Ökodesign in der Produktentwicklung
Doch wie kann die Integration von externem Expertenwissen zum Ecodesign im Kontext der begrenzten Ressourcen von KMUs auch auf operativer Ebene effizient und zielgerichtet gelingen? Ein allgemein methodischer Ansatz für die schrittweise, ressourcenschonende Lösungserarbeitung unter sich verändernden Randbedingungen sind die sogenannten agilen Entwicklungsmethoden [7]. Innerhalb der verschiedenen konkreten Einzelmethoden (z. B. Design Thinking, SCRUM) gibt es dabei eine Reihe von Rollen und Ereignissen, die der Entwicklungstätigkeit einen strukturellen Rahmen geben.
Für die Integration des agilen Ökodesigns in der Produktentwicklung bei KMUs wird in diesem Beitrag die neue Rolle des „Ecodesign Owner“ vorgeschlagen. Im hier diskutierten KMU-Kontext fällt diese Rolle den anfangs beschriebenen Experten zu. Obwohl das externe Expertenwissen nicht integrierter Bestandteil des KMU eigenen Entwicklungsprozesses ist, besteht aufgrund der aufgezeigten Wechselwirkungen der Ecodesign-Indikatoren eine Notwendigkeit der kontinuierlichen Wissensintegration über den Produktentwicklungsprozess (Bild 1). Je nach Zeitpunkt im Produktentwicklungsprozess und in Abhängigkeit der verwendeten agilen Methoden werden der Rolle „Ecodesign Owner“ daher verschiedene Aufgabenfelder zugeordnet.
In frühen Phasen des Produktentwicklungsprozesses (z. B. Konzeptentwicklung) stellt beispielsweise die Design-Thinking-Methode eine sehr nutzerorientierte, agile Arbeitsmethode dar. Innerhalb des Design-Thinking-Ansatzes kommt der Rolle „Ecodesign Owner“ die Aufgabe zu, die aus der Empathize und Define Phase abgeleiteten Spezifikationen durch Ecodesign Aspekte (z. B. EU-Vorgaben, Recyclingstrategien, nachhaltige Werkstoffgruppen) zu erweitern. Nach der Phase der Ideengenerierung (Ideate) müssen die Lösungskonzepte wiederum anhand spezifischer Ecodesign-Indikatoren (z. B. CO2 -Footprint eines Produktkonzepts) evaluiert und gegebenenfalls unter der Verwendung spezifischer Ecodesign-Maßnahmenkataloge optimiert werden. Durch die strategische Einbindung des externen Expertenwissens kann ein KMU den Ecodesign-Aspekt ohne zusätzliche eigene Kapazitäten und ohne die strukturelle Abänderung der eigenen agilen Prozesse abbilden (Bild 2).
Aus den bisherigen Betrachtungen entsteht zunächst der Eindruck, die Rolle Ecodesign Owner ließe sich ebenso wie andere Spezialisten Disziplinen (z. B. Werkzeugbau) auch durch eine sogenannte Patenschaft eines Mitglieds des agilen Entwicklerteams umsetzen. Dieser allgemeine Ansatz wird auch als „Extended Teams“ bezeichnet, bei dem Spezialisten in die Teamarbeit nur zeitweise oder mit geringer Kapazität eingebunden werden können [9]. Betrachten wir beispielsweise die bekannteste und verbreitetste agile Methode SCRUM [7], so wird deutlich, dass der Ecodesign Owner mehr als nur eine Spezialistenrolle innerhalb eines Sprints sein muss. Im SCRUM gibt es neben einem prozessualen Rahmen (z. B. Artefakte, Events) auch definierte Rollen: den Product-Owner, den SCRUM-Master und das Entwicklungsteam [8].
Während der Ecodesign Owner hier die begleitende Rolle eines Spezialisten während der Sprint-Phasen hat, beeinflussen die Ecodesign-Indikatoren zusätzlich die Artefakte im Product Backlog und müssen vom Entwicklungsteam (Development Team) schon während der Sprint-Planungsphase (Sprint Planning) berücksichtigt werden. Schließlich muss das Sprintergebnis (Potentially Releasable Increment) ebenfalls anhand der Ecodesign-Indikatoren (z. B. CO2 -Footprint eines Produktkonzepts) evaluiert werden. Hierzu wird neben der Rolle Ecodesign Owner ergänzend das SCRUM spezifische Ereignis „Ecodesign Retrospective“ vorgeschlagen (Bild 3).
Nachdem die methodischen Ansätze zur Integration externen Expertenwissens im Kontext Ecodesign bei KMUs erläutert wurden, wird die Methodenanwendung abschließend anhand eines erfolgreichen Praxisbeispiels illustriert.
Bild 4: Zusammenfassung des Projektergebnisses Glättekelle mit den
wesentlichen Ecodesign-Indikatoren.
Erfolgsbeispiel Comfort-Glättekellen
Im Rahmen einer von der Effizienzagentur NRW geförderten Ressourceneffizienz Beratungsmaßnahme wurde eine Glättekelle aus dem Produktportfolio der Firma maurerfreund GmbH mit Sitz in Remscheid analysiert. Die maurerfreund GmbH ist ein mittelständisches Unternehmen aus der Werkzeugbranche mit rund 30 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von circa 7 Mio. €. Aus einer betriebsintern initiierten Voruntersuchung zeigte sich ein Einsparpotenzial von rund 13 % des eingesetzten Materials durch eine Optimierung der Fügetechnologie sowie eine Bauteilreduktion durch konstruktive Maßnahmen um ca. 50 %. Weiterhin wurden ergonomische Verbesserungen der Griffgeometrie und des Handlings der Glättekelle angestrebt.
Durch die kontinuierliche Einbindung eines externen Beraters in Gestalt des Instituts für Produkt-Innovationen der Bergischen Universität Wuppertal konnte die maurerfreund GmbH über den gesamten Produktentwicklungsprozess auf eine umfassende Ecodesign-Expertise zurückgreifen. So wurden die geeigneten Werkstoffklassen auf Basis einer umfangreichen Werkstoffdatenbank unter Ecodesign-Gesichtspunkten strategisch bewertet und zielgerichtet ausgewählt. Durch eine Überarbeitung der Baustruktur (z. B. Verzicht auf einen Eisenkern im Griff, Topologie-Optimierung der Griffstruktur) und eine Ecodesign-Optimierung der Fertigungsverfahren (z. B. Verklebung statt Bolzenschweißverfahren) konnte dabei nicht nur eine Gewichtsreduzierung von 51 % erzielt werden. Mittels Betrachtung von Produkt und Produktionsprozessen gleichermaßen konnte auch die Endmontage um 26 % beschleunigt werden. Im Kontext des Design for Circular Economy wurden zudem Kunststoff- und Metallbauteile örtlich separiert und leicht demontierbar gestaltet, sodass eine Wiederverwendung sowie das sortenreine Recycling leicht möglich sind. Insgesamt konnten durch Ecodesign-Maßnahmen 28 % der Produkt- und Produktionsbezogenen CO2 -Emissionen gesenkt werden (Bild 4).
Durch die intensive Zusammenarbeit zwischen KMU und Ecodesign Owner zeigte sich im Projektverlauf auch ein erster Wissenstransfer in Form von Best-Practice-Ansätzen für zukünftige Entwicklungsansätze.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Einbindung externen Expertenwissens im Kontext Ecodesign ist für KMUs der Schlüssel, um das Thema nachhaltige Produktentwicklung zu erschließen. Mithilfe der methodischen Integration der Rolle Ecodesign Owner in agile Produktentwicklungsprozesse wurde in diesem Beitrag eine Möglichkeit aufgezeigt, wie die anhaltende politische und gesellschaftliche Forderung nach umweltverträglichen Produkten auch mit begrenzten Ressourcen umgesetzt werden kann.
Das Institut für Produkt-Innovationen der Bergischen Universität Wuppertal unterstützt Unternehmen deutschlandweit bei der Umsetzung von Produktinnovationen im Bereich Ecodesign und bei der Evaluation und Optimierung der Nachhaltigkeit von Produkten und Produktionsprozessen.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projekts „Gestalt-, Material- und Prozessoptimierung einer neuartigen Kelle“, das vom Land Nordrhein-Westfalen unter Einsatz von Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) 2014-2020 – „Investitionen in Wachstum und Beschäftigung“ unter dem Förderkennzeichen EFRE-0700169 gefördert wurde.
Literatur:
[1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU): Deutsches Ressourceneffizienzprogramm III - 2020 bis 2023. Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Bielefeld 2020.
[2] Bey, N.; Hauschild, M.; McAloone, T.: Drivers and barriers for implementation of environmental strategies in manufacturing companies. In: CIRP Annals 62 (2013) 1, S. 43-46. DOI 10.1016/j.cirp.2013.03.001 .
[3] Effizienz-Agentur NRW 2022: Ihre Effizienz im Blick. URL: www.ressourceneffizienz.de/leistung/pius-finanzierung, Abrufdatum 22.11.2022.
[4] Bonou, A.; Olsen, S.; Hauschild, M.: Introducing life cycle thinking in product development. In: CIRP Annals 64 (2015) 1, S. 45-48. DOI 10.1016/j.cirp.2015.04.053 .
[5] Dufrene, M.; Zwolinsky, P.; Brissaud, D.: An engineering platform to support a practical integrated eco-design methodology. In: CIRP Annals 62 (2013) 1, S. 131-134. DOI 10.1016/j.cirp.2013.03.065 .
[6] Zwolinsky, P.; Tichkiewitsch, S.: An agile model for the ecodesign of electric vehicle Li-ion batteries. In: CIRP Annals 68 (2019), S. 161-164. DOI 10.1016/j.cirp.2019.04.009 .
[7] Schönebeck, H.: Extended SCRUM Teams. URL: www.co-improve.com/media/extended_scrum_teams.pdf, Abrufdatum 28.11.2022.
[8] VDI-Gesellschaft Produkt- und Prozessgestaltung (Hrsg): Agile Entwicklung physischer Produkte. Chancen und Herausforderungen. VDI Status-Report 2018.
[9] Schwaber, K.; Sutherland, J.: The Scrum Guide: The Definitive The Rules of the Game. In: Scrum.Org and ScrumInc, no. November. 2017.
Veröffentlicht in: Industrie 4.0 Management. 2023. 46-50. DOI: 10.30844/IM