Autoren: Univ.-Prof. Dr. Stefan Süß, Dr. Ingo Klingenberg, Maximilian Keller und Phillip Nguyen; Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
In der heutigen dynamischen Wirtschaft ist die Automotive-Industrie einem starken Transformationsdruck ausgesetzt. Die rasante Entwicklung von Elektromobilität, autonomem Fahren und digitalen Technologien zwingt die betroffenen Unternehmen zu massiven Veränderungen. Neben zahlreichen Potenzialen für eine nachhaltige und vernetzte Zukunft bergen die Transformationsprozesse jedoch auch weitreichende Risiken in Form von Stress und Gesundheitsproblemen für die Beschäftigten: So kann die organisationale Transformation zu Unsicherheit, erhöhter Arbeitsbelastung und psychischem Druck führen, wodurch gesundheitliche Probleme wie kardiovaskuläre und psychische Erkrankungen ausgelöst werden können. Um den langfristigen Erfolg der Transformation zu fördern und gleichzeitig die Motivation und Gesundheit der Beschäftigten in Veränderungsprozessen sicherzustellen, erweisen sich ein adäquates betriebliches Gesundheitsmanagement und eine gesundheitsorientierte Führung als wirksam.
Gesundheitliche Risiken von Transformationsprozessen
Gesundheitliche Risiken in Transformationsprozessen haben unterschiedliche Ursachen. Ein wesentlicher Faktor sind Unsicherheiten und Ängste vor Veränderungen. Die Beschäftigten machen sich häufig Sorgen über die Auswirkungen der Transformation auf ihren Arbeitsplatz und ihre Karriere, was zu erheblichen psychischen Beanspruchungen führen kann. Zudem sind Transformationsprozesse häufig mit veränderten Anforderungen verbunden. Die Notwendigkeit, neue Fähigkeiten zu erlernen, sich an neue Prozesse anzupassen und gleichzeitig die bestehenden Aufgaben zu bewältigen, kann zu Stressreaktionen führen (vgl. Schaff 2019). Ein weiteres Risiko ist eine intransparente Kommunikation der Ziele und Strategien der Transformation gegenüber den Beschäftigten. Unklare oder unzureichende Informationen können zu Unsicherheit bei den Beschäftigten beitragen, woraus wiederum Frustration und Überforderungen resultieren können. Auch das Verhalten der Führungskräfte spielt eine entscheidende Rolle. Druck, hohe Erwartungen und mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte können das Stressniveau der Beschäftigten erhöhen und ihre psychische Gesundheit negativ beeinträchtigen.
Abbildung 1 zeigt die Hauptursachen für psychische Belastungen am Arbeitsplatz, die im Rahmen von Transformationsprozessen auftreten können.
Abbildung 1: Hauptursachen für psychische Belastungen (in Anlehnung an Arps u. a. 2019)
Starke psychische Beanspruchungen können sich unter anderem in Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen manifestieren. Auch ein Burnout kann Folge des permanenten Drucks während des Transformationsprozesses sein und sich in emotionaler Erschöpfung, Selbstentfremdung und verminderter Leistungsfähigkeit äußern. Zudem kann langanhaltender Stress zu körperlichen Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Problemen und einem geschwächten Immunsystem führen. Mögliche ökonomische Folgen des Drucks sind erhöhte Fluktuation und geringere Produktivität, was wirtschaftliche Nachteile für das Unternehmen mit sich bringen kann.
Die skizzierten psychischen und physischen Beanspruchungen sind häufig miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Dies unterstreicht die Dringlichkeit gezielter Maßnahmen zur Stressbewältigung und Gesundheitsförderung der Beschäftigten in Transformationsprozessen.
Erkennen von Risiken durch Führungskräfte
Führungskräfte spielen aufgrund ihrer Position und ihrer Einflussmöglichkeiten eine wichtige Rolle bei der Prävention und Reduzierung von Beanspruchungen. Um die gesundheitlichen Risiken zu minimieren, ist es wichtig, dass Führungskräfte frühzeitig auf mögliche Probleme aufmerksam werden und vorbeugende Maßnahmen ergreifen. Ein probates Mittel ist die offene Kommunikation, bei der aktiv das Gespräch mit Teammitgliedern gesucht und sensibel auf deren Sorgen und Bedenken eingegangen wird. Dies schafft eine Vertrauensbasis, auf der die Mitarbeiter offener über ihre Gesundheitsprobleme sprechen können. Darüber hinaus sollten Führungskräfte beobachten, ob sich das Verhalten ihrer Teammitglieder verändert. Erhöhte Fehlzeiten, soziale Isolation, sinkende Motivation oder eine Verschlechterung der Arbeitsqualität können hier (erste) Anzeichen für Stress oder gesundheitliche Probleme sein, die frühzeitig erkannt und berücksichtigt werden sollten.
Ein weiterer zentraler Faktor zur Reduzierung und Vermeidung von Beanspruchungen ist die individuelle Unterstützung der Beschäftigten (vgl. Weiß/Süß 2014, S. 41). Führungskräfte können ihren Mitarbeitern Ressourcen und Unterstützung anbieten, sei es in Form von Angeboten für berufliche Weiterbildung, Coaching oder der Vermittlung psychologischer Hilfe. Auch die Berücksichtigung einer gesunden Work-Life-Balance, flexiblere Arbeitszeiten und das Einräumen von Pausen und Urlaub tragen dazu bei, den Stress am Arbeitsplatz zu reduzieren. Wirken Führungskräfte als Vorbilder für einen gesunden Lebensstil, indem sie selbst auf ihre Gesundheit achten und ihre eigene Work-Life-Balance wahren, ermutigt dies ihr Team, es ihnen gleichzutun (vgl. Süß/Dragano/Klingenberg 2022, S. 287). Schließlich können Schulungen zur Stressbewältigung und zur Förderung eines gesunden Arbeitsumfelds von Führungskräften angeboten werden. Dies vermittelt den Beschäftigten effektive Strategien zur Stressbewältigung und trägt zu einem positiven und gesundheitsfördernden Arbeitsklima bei.
Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit
Neben der gesundheitsförderlichen Führung stehen den Unternehmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, um die Beschäftigten zu unterstützen. Betriebliches Gesundheitsmanagement ermöglicht zunächst eine gezielte Identifizierung der gesundheitlichen Bedürfnisse der Beschäftigten während des Transformationsprozesses. Mit Hilfe von Befragungen, Gesundheitschecks und Interviews können Unternehmen die spezifischen Herausforderungen und Belastungen der Beschäftigten ermitteln. Darauf aufbauend können insbesondere im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung Maßnahmen entwickelt werden, welche die Gesundheit der Beschäftigten gezielt fördern. Dazu gehören beispielsweise Programme zur Stressbewältigung, Workshops zur Förderung der psychischen Gesundheit und Resilienz oder Fitnesskurse. Diese Maßnahmen helfen den Beschäftigten, ihre physische und psychische Gesundheit zu stärken und die Anforderungen des Transformationsprozesses besser zu bewältigen. Darüber hinaus bietet die betriebliche Gesundheitsförderung die Möglichkeit, ein gesundes Arbeitsumfeld zu unterstützen. Unternehmen können zudem ergonomische Arbeitsplätze schaffen, um körperliche Belastungen zu minimieren, und flexible Arbeitszeitmodelle anbieten, um die Work-Life-Balance zu unterstützen. In der Praxis hat sich eine Kombination der gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeitsbedingungen (sog. Verhältnisprävention) und der Befähigung der Beschäftigten, durch ihr Verhalten gesundheitsgefährdende Bedingungen möglichst gering zu halten (Verhaltensprävention), als besonders wirkungsvoll erwiesen (vgl. Süß/Klingenberg 2021, S. 680).
Ein wichtiger Aspekt des betrieblichen Gesundheitsmanagements ist die kontinuierliche Überprüfung und Bewertung der etablierten Programme und Maßnahmen. Durch die regelmäßige Auswertung von Gesundheitsdaten und Rückmeldungen der Beschäftigten können Anpassungen vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Beschäftigten angemessen berücksichtigt werden.
Fazit
Die erfolgreiche Umsetzung von Transformationsprozessen erfordert strategische Planung, bei der die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten Berücksichtigung findet. Das Erkennen von Gesundheitsrisiken durch die Führungskräfte und die Umsetzung gezielter Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sind entscheidend, um die negativen Auswirkungen von Transformationsprozessen zu minimieren. Ebenso ist die Schaffung einer gesundheitsförderlichen und gesundheitsbewussten Unternehmenskultur von zentraler Bedeutung, um die mögliche Stigmatisierung von gesundheits- und stressbedingten Fehlzeiten zu minimieren (vgl. Badura/Ehresmann 2016). Gleichzeitig kann dadurch Präsentismus, d. h. die Tendenz von Beschäftigten, trotz Krankheit ihrer regulären Tätigkeit nachzugehen, reduziert werden. Da sich ein solches Verhalten negativ auf die Produktivität und die Gesundheit der Beschäftigten auswirkt, sind ein hohes Bewusstsein für die gesundheits- und stressbedingten Auswirkungen und ein daraus resultierendes rücksichtsvolles Verhalten von besonderer Relevanz. Auf diese Weise können Unternehmen, die auf die Gesundheit ihrer Beschäftigten achten, nicht nur einen reibungsloseren Wandel erleben, sondern auch langfristig von motivierten und engagierten Beschäftigten profitieren.
Literatur
Arps, Wiebke/Lüerßen, Hartmut/Mikula, Dorit/Naumann, Falk/Ohlsen Anika Ohlsen/Stickling, Erwin (2019): BGM im Mittelstand 2019/2020, Köln 2019
Badura, Bernhard/Ehresmann, Cona (2016): Unternehmenskultur, Mitarbeiterbindung und Gesundheit. In: Badura, Bernhard/Ducki, Antje/Schröder, Helmut/Klose, Joachim/Meyer, Markus (Hrsg.): Fehlzeiten-Report 2016. Fehlzeiten-Report, vol 2016. Berlin, Heidelberg 2016, S. 81-106
Schaff, Arnd (2019): Arbeit 4.0: Risiken für die psychische Gesundheit, in: Hermeier, Burghard/Heupel, Thomas/Fichtner-Rosada, Sabine (Hrsg.): Arbeitswelten der Zukunft. FOM-Edition, Wiesbaden 2019, S. 303-322
Süß, Stefan/Dragano, Nico/Klingenberg, Ingo (2022): Belastungen durch die digitale Arbeit, in: Corsten, Hans/Roth, Stefan (Hrsg.): Handbuch Digitalisierung, München 2022, S. 273-291
Süß, Stefan/Klingenberg, Ingo (2021): Arbeit und Gesundheit, in: Gröbel, Rainer/Dransfeld-Haase, Inga (Hrsg.): Strategische Personalarbeit in der Transformation. Partizipation und Mitbestimmung für ein erfolgreiches HRM, Frankfurt am Main 2021, S. 668-686
Weiß, Eva-Ellen/Süß, Stefan (2014): Stressfaktor Chef?! Der Einfluss transformationaler Führung auf das Stressempfinden und den Work-Life Conflict von Mitarbeitern, in: PERSONALquarterly 65 (3/2014), S. 36-41
Weiß, Eva-Ellen/Süß, Stefan (2016): The relationship between transformational leadership and effort-reward imbalance, in: Leadership & Organization Development Journal 37 (4/2016), S. 450-466