Werteverschiebung bei Auszubildenden und ihre Bedeutung für Recruiting und Bindungsmanagement
In Zeiten des Fachkräftemangels werden Recruiting und Bindungsmanagement zu unverzichtbaren Tools für Unternehmen, um Fachkräfte gewinnen und halten zu können. Statt Schreckensbilder einer wenig motivierten, unverbindlichen und unsteten Generation Z zu zeichnen, müssen die Chancen, die diese Generation bietet, genutzt werden, um die Risiken des wachsenden Fachkräftemangels zu bekämpfen. Auf Basis dieser Überlegung sind auch wir als Bildungsdienstleister zu dem Schluss gekommen uns, viel intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen als wir das bislang schon getan haben.
Auf Basis regelmäßiger Befragungen unserer Auszubildenden unter dem Titel „GLW-Azubi-Kompass“ möchten wir als GLW dabei mitwirken Erwartungen, Motivationen und Werte Auszubildender zu erschließen, um Recruiting- und Bindungsbemühungen der regionalen Industrieunternehmen zu unterstützen und industriellen Ausbildungsberufen wieder zu mehr gesellschaftlicher Bedeutung zu verhelfen. Der folgende Kurzbeitrag basiert allerdings nicht ausschließlich auf dieser ersten Befragung, sondern auch auf den Erkenntnissen aus einem Jahr Grundausbildung mit den befragten Auszubildenden. Er fasst erste interessante Erkenntnisse aus der Befragung zusammen.
Repräsentativität kann somit momentan nicht der Anspruch sein, allerdings decken wir mit unseren Auszubildenden und Partnerunternehmen einen großen Teil der Region Velbert-Heiligenhaus ab. Wir sind uns sicher, mit regelmäßig neuen Daten, ein bedeutsames Bild der kommenden Generationen von Fachkräften in industriell technischen Berufen unserer Region zeichnen können.
Befragt worden sind 45 unserer Auszubildenden, die das erste Lehrjahr eines industriellen Metall- oder Elektroberufs bei uns verbracht haben.
Die Frage nach der Geschlechtergruppe wurde 37-mal mit „männlich“ beantwortet, dreimal mit „weiblich“, und einmal mit „non binär“. Viermal wurde zu dieser Frage keine Angabe gemacht. Die deutliche Mehrheit an männlichen Auszubildenden ist typisch für den Bereich der technisch-industriellen Ausbildung. Um das Potenzial an Auszubildenden breiter zu nutzen, müssen z.B. Mädchen und junge Frauen mit speziellen Angeboten intensiver als bisher über die Arbeit in industriellen Berufen informiert werden.
Nur zwei der befragten Auszubildenden haben angegeben, einen Hauptschulabschluss zu haben, alle anderen haben Fachoberschulreife (20), Fachhochschulreife (10) oder allgemeine Hochschulreife (12). Auch der geringe Anteil von Hauptschulabsolventen bietet Potenzial für die Akquise zukünftiger Fachkräfte. Die ohnehin wenig hilfreichen Pauschalisierungen über Ausbildungsfähigkeit von Hauptschulabsolventen dürfen hier zukünftig kein Hindernis darstellen.
Die Frage, warum man sich für den gewählten Ausbildungsberuf entschieden hat, haben 78 Prozent der Auszubildenden mit „Interesse am Berufsbild“ beantwortet. Interessant ist, dass sich 22 Prozent der Auszubildenden offensichtlich nicht aus Interesse am Berufsbild für Ihren Beruf entschlossen bzw. drei andere Faktoren höher bewertet haben. Idealerweise sollten alle Befragten diese Frage mit Interesse am Berufsbild beantworten. Hier muss also noch weiter daran gearbeitet werden, Schülern die möglichen Ausbildungsberufe näher zu bringen und so die Gefahr von Ausbildungsabbrüchen und Unzufriedenheit zu minimieren.
Wie zu erwarten, haben es Arbeitgeber nicht mit einer Generation zu tun, die völlig andere Vorstellungen von Ihrer Berufswelt hat als die vorherigen.
So ist 84 Prozent der befragten Auszubildenden die Aussicht auf eine langfristige Beschäftigungssicherheit in ihrem Unternehmen mindestens wichtig, 44 Prozent sogar sehr wichtig. 93 Prozent der Auszubildenden ist die Balance zwischen Arbeit und Freizeit mindestens wichtig, 71 Prozent sehr wichtig. Die Auszubildenden zeigen sich also eher nicht bindungsfremd. Wie sich weiter steigender Fachkräftemangel und damit steigende Jobverfügbarkeit auf die spätere Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber auswirken, bleibt natürlich abzuwarten. Ausreichend Freizeit ist und bleibt ein wichtiger Faktor.
Für 38 Prozent der Azubis ist die Zukunftsorientiertheit eines arbeitgebenden Unternehmens wichtig. Die Zukunftsorientiertheit ist damit auf Platz zwei der Entscheidungsgründe für einen Arbeitgeber in der Ausbildung, direkt nach der räumlichen Nähe zum Wohnort. In nachfolgenden Befragungen werden wir verstärkt erfragen, was Zukunftsorientiertheit für die Auszubildenden im Einzelnen bedeutet.
Nachhaltigkeit und ressourcenschonendes Leben spielen mittlerweile eine wichtige Rolle, stechen allerdings nicht deutlich hervor: 49 Prozent der Auszubildenden geben demnach an, dass ihnen Nachhaltigkeit und ressourcenschonendes Leben wichtig sind, allerdings nur solange sie nicht von damit zusammenhängenden Konsequenzen betroffen sind. Nur 16 Prozent der Befragten würden auch persönliche Einschränkungen in Kauf nehmen.
Nach wie vor sind Einkommen und beruflicher Erfolg wichtig: Ein hohes Einkommen ist für 56 Prozent der Auszubildenden erstrebenswert, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nicht zu Lasten der Arbeitszufriedenheit gehen darf. Weniger wichtig ist ein hohes Einkommen lediglich für weniger als ein Prozent der Befragten. 91 Prozent der Auszubildenden ist es mindestens wichtig, frühzeitig Verantwortung in Ihrem Beruf zu übernehmen, 22 Prozent sogar sehr wichtig.
Im Bereich Zufriedenheit gibt es deutlich Positives zu Berichten. So geben 91 Prozent der Auszubildenden an, über Inhalte und Planung der Ausbildung informiert zu sein, 40 Prozent geben an, gut informiert zu sein. Kein Auszubildender hat angegeben, dass er in Schule oder betrieblichem Teil dringend Unterstützung braucht, alle kommen nach eigener Einschätzung gut oder sehr gut zurecht. 40 Prozent geben dennoch an, dass sie von schulischer Seite etwas mehr Unterstützung brauchen, 31 Prozent brauchen letzteres auf betrieblicher Seite.
Insgesamt sind die allermeisten Auszubildenden mit ihrer Ausbildung zufrieden und kommen nach eigener Einschätzung gut zurecht. Bemühungen, der industriellen Ausbildung zukünftig wieder zu mehr Relevanz zu verhelfen, können also auf einem regional gut funktionierenden Ausbildungssystem aufbauen. Organisierte Treffen von Schülern und Auszubildenden können dazu beitragen, den Erfolg dieses Ausbildungssystems für die Rekrutierung zu nutzen.
Es zeigt sich nicht das befürchtete, eingangs erwähnte Bild der Generation Z. Vielmehr zeigen sich junge Menschen, die Interesse an der Gestaltung zukünftigen Berufslebens haben und deren Werte sich in einigen Bereichen zu verschieben beginnen. Diese Werteverschiebung zu berücksichtigen, wird zukünftig mehr als zuvor Aufgabe der Unternehmen sein, da die Generation Z, die „digital Natives“ mit ihrem selbstverständlichen Umgang mit der Digitalisierung in Unternehmen dringend gebraucht werden. Zudem kann es zukünftig sinnvoll sein, bislang eher wenig genutzte Potentiale, wie weibliche Auszubildende und Hauptschüler verstärkt über moderne, industrielle Ausbildungsberufe zu informieren.
Mittelfristig müssen nicht mehr nur Unternehmen, sondern ganze Branchen potenzielle Fachkräfte rekrutieren. Daher ist eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Sozialpartnern, Schulen und Bildungsdienstleistern unumgänglich.
Tobias Tielsch, GLW Velbert
Die gesamte Umfrage wird in Kürze auf www.glw-velbert.de zur Einsicht bereitgestellt.
Bild: GLW