Die Automobilindustrie befindet sich im Zeitalter der Digitalisierung in einem Wandel. Die rasante Entwicklung digitaler Technologien prägt nicht nur die Fahrzeuge selbst, sondern auch sämtliche Geschäftsprozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In diesem dynamischen Umfeld sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in der Automobilzulieferindustrie besonders gefordert, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und auszubauen. Der Schlüssel hierzu liegt in der gezielten Erkennung und dem Ausbau digitaler und technologischer Kompetenzen im Unternehmen.
Die zunehmende Vernetzung, Automatisierung, künstliche Intelligenz und datengetriebene Ansätze revolutionieren die Art und Weise, wie Unternehmen in der Automobilbranche arbeiten. KMU spielen dabei eine essentielle Rolle, da sie oft innovative Nischenlösungen entwickeln und spezialisierte Dienstleistungen erbringen. Um die Potenziale der digitalen Transformation voll auszuschöpfen, müssen diese Unternehmen jedoch über die notwendigen digitalen Kompetenzen verfügen. Um dies zu gewährleisten, müssen KMU ihre Kompetenzen erkennen und systematisch ausbauen können. Die gezielte Entwicklung digitaler und technologischer Kompetenzen bietet nicht nur die Chance, den Anschluss nicht zu verlieren, sondern auch sich als Innovationstreiber und wertvoller Partner für die großen Akteure der Branche zu etablieren.
Digitale und technologische Kompetenzen
Im Amtsblatt der Europäischen Union wird digitale Kompetenz als eine umfassende Fähigkeit beschrieben, digitale Technologien sicher, kritisch und verantwortungsbewusst zu nutzen. Diese Fähigkeit erstreckt sich über verschiedene Lebensbereiche wie allgemeine und berufliche Bildung, Arbeitsumfeld und gesellschaftliche Teilhabe. Die digitale Kompetenz umfasst mehrere Subkompetenzen, die in einer sich zunehmend digitalisierenden Welt von entscheidender Bedeutung sind [ABL. C 189]. Das Diskussionspapier Nr. 3 „Future Skills 2021“ schlägt, vor digitale Kompetenzen in die folgenden Fähigkeiten aufzuteilen [Süßenbach et.al 2021]:
Tabelle 1 Digitale Kompetenzen nach Süßenbach et.al 2021
Die Fähigkeit des „Agilen Arbeiten“ wird zu den digitalen Kompetenzen zugeordnet, da die nutzerorientierte selbstverantwortliche und iterative Zusammenarbeit in Teams unter Anwendung agiler Arbeitsmethoden relevant für das immer stärker werdenden digitalisierten Umfeld der Automotiveindustrie geworden ist.
Während digitale Kompetenzen sich mit dem Umgang von Technologien auseinandersetzen, umfassen technologische Kompetenzen jene Fähigkeiten, die für die Gestaltung und effiziente Nutzung dieser benötigt werden [Süßenbach et.al 2021]. In der Automobilindustrie sind verschiedene technologische Kompetenzen von großer Relevanz, um den technologischen Fortschritt und die Anforderungen an moderne Fahrzeuge und Produktionsprozesse zu bewältigen:
Tabelle 2 Technologische Kompetenzen nach Süßenbach et.al 2021
Je nach Unternehmenszielen und Anforderungen können sich die betrachteten digitalen als auch die technologischen Kompetenzen unterscheiden.
Kompetenzen in KMU erkennen
Um die digitalen und technologischen Kompetenzen weiterentwickeln und nutzen zu können, muss zunächst in den KMU der aktuelle Status, der Ist-Zustand der vorhandenen Kompetenzen beobachtet werden. Hierbei kann sowohl die Beobachtung von Einzelpersonen als auch von Abteilungen erfolgen, wobei die Analyse individueller Fähigkeiten Einblicke in spezifische Unternehmensbereiche ermöglicht. Die erzielten Ergebnisse dienen dabei der realistischen Einschätzung und Standortbestimmung individueller digitaler und technologischer Kompetenzen im Unternehmen. Die Kompetenzbeobachtung kann als objektives Messverfahren oder subjektives Messverfahren gestaltet werden. Dies hängt von den zu betrachtenden Kompetenzkategorie ab.
Die digitalen Kompetenzen decken methodische, personale und sozial kommunikative Kompetenzen ab. Diese können in KMU durch eine Kombination von objektiven und subjektiven Methoden erfasst werden, um ein umfassendes Bild zu zeichnen. Als subjektive Methode können Fragebögen zur Selbstreflektion der eigenen digitalen Fähigkeiten oder Interviews mit den befragten Personen verwendet werden. Diese Methode kann eine breite Palette von Themen abdecken, von Grundlagen der Softwareanwendung bis hin zur Teamarbeit im digitalen Umfeld. Neben der Selbsteinschätzung kann das Sammeln von Feedback der Kollegschaft und Vorgesetzen über die digitalen Fähigkeiten einer Person genutzt werden, um neben der eigentlichen Kompetenzmessung auch einen Abgleich über die Exaktheit der Selbsteinschätzung zu erhalten [Beimborn und Hildebrandt 2021]. Reine subjektive Kompetenzmessungsmethoden sollten aufgrund von Schwächen wie Fehleinschätzung oder fehlender Generalisierbarkeit nicht alleinstehend verwendet werden. Daher werden diese in Kombination mit objektiven Messverfahren angewendet um eine ganzheitliche Einschätzung zu erhalten und die Schwächen subjektiver Messmethoden zu minimieren. Für digitale Kompetenzen eignen sich standardisierte Tests, die Kenntnisse im Umgang mit digitalen Daten messen und die Anwendung von gängiger Software sowie Online-Kollaborationskanäle. Diese Tests können einfache praktische Aufgaben wie das Herunterladen, Teilen und Sichern von Daten sein. Im Fall der "Digital Ethics" sollen die Mitarbeitenden über die Darstellung von Szenarien ethische Probleme identifizieren und ihre Entscheidungen angeben.
Im Gegensatz zu digitalen Kompetenzen handelt es sich bei allen technologischen Kompetenzen um Fachkompetenzen. Diese sind organisations-, prozess-, aufgaben- und arbeitsplatzspezifische berufliche Fertigkeiten und Kenntnisse [Kauffeld 2021]. Aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften erweisen sich objektive Methoden zur Messung der Fachkompetenzen als passend, da sie auf der Beobachtung der Mitarbeiterhandlungen basieren. Zur Erfassung von vorhandenen technologischen Kompetenzen können Mitarbeitende unter Anwendung von KI-Techniken simulierte Datensätze analysieren, um zu zeigen, wie sie mit großen Datenmengen umgehen und Erkenntnisse daraus ziehen können. Neben simulationsbasierten Methoden, können auch Programmierungsexperimente und Tests eine aussagekräftige Bewertung liefern. Durch diese kann verdeutlicht werden, wie gut Programmiersprachen für die Softwareentwicklung von Fahrzeugen beherrscht werden. Zusätzlich könnten auch gezielte Tests zur Anwendung kommen, bei denen Mitarbeitende ihre Fähigkeiten in der Softwareentwicklung für Front- und Backend-Applikationen unter Beweis stellen. Solche Tests können spezifische Aufgabenstellungen umfassen, die unmittelbar im beruflichen Umfeld bewältigt werden müssen. Die Kombination aus simulationsbasierten Methoden, Programmierungsexperimenten und gezielten Tests ermöglicht eine umfassende Bewertung der technologischen Kompetenzen und hebt die praktische Anwendbarkeit der Fertigkeiten in einem realen Arbeitskontext hervor. Dennoch erfordert die Anwendung dieser Beobachtungsmethoden einen hohen Personal-, Zeit und Kostenaufwand. Zudem gestaltet sich die Standardisierung dieser Methoden als problematisch, da technologische Kompetenzen oft stark auf den jeweiligen Kontext zugeschnitten sind. In Anbetracht dieser Herausforderungen erweist sich Kombination dieser Beobachtungsmethoden mit subjektiven Kompetenzerfassungsmethoden, ähnlich wie bei der Erfassung digitaler Kompetenzen. Dieser Ansatz ermöglicht es zunächst, den vorhandenen Bestand an technologischen Kompetenzen zu ermitteln, ohne den hohen Aufwand und die Kosten, die mit den objektiven Beobachtungsmethoden verbunden sind. Dies dient als Grundlage, um eine initiale Übersicht über die technologischen Kompetenzen im Unternehmen zu gewinnen und gegebenenfalls gezielte weitere Schritte einzuleiten.
Digitale und technologische Kompetenzen ausbauen
Das Ausbauen digitaler und technologischer Kompetenzen erfordert auch digitale und technologische Lernmedien. In einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt ist die kontinuierliche Weiterentwicklung von digitalen und technologischen Kompetenzen für KMU in der Automobilindustrie von entscheidender Bedeutung. Dabei bieten verschiedene Lernmedien vielfältige Möglichkeiten, um Mitarbeitenden die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln und zu vertiefen. Die Anwendung maßgeschneiderten Lernmedien ermöglicht es KMU, ihre Mitarbeitenden auf die spezifischen Herausforderungen und Innovationen der Branche vorzubereiten.
KMU können auf E-Learning-Plattformen oder computer-/web-basierte Selbstlernprogramme zugreifen, die speziell auf digitale Grundkompetenz ausgerichtet sind. Diese Plattformen bieten interaktive Kurse und Module, die den Umgang mit digitalen Daten, Sicherheitsregeln im Netz und grundlegende Softwarekenntnisse vermitteln. Kurze Lernvideos und Podcasts sind eine effektive Möglichkeit, Mitarbeitenden digitale Grundlagen beizubringen. Sie können Videos verwenden, die den sicheren Umgang mit digitalen Werkzeugen, die Navigation im Internet und die Verwendung von grundlegenden Softwareanwendungen erklären. Wie auch bei der Kompetenzbeobachtung von Digital Ethics, können Fallstudien verwendet werden, um Mitarbeitende zum kritischen Denken über ethische Fragen im digitalen Umfeld anzuregen. Anhand realer oder fiktiver Szenarien können Diskussionen und Reflexionen über Themen wie Datenschutz, Privatsphäre und verantwortungsvolles Online-Verhalten gefördert werden. Die Nutzung digitaler Arbeitsmittel als Lernmedium ermöglicht es Mitarbeitenden, nicht nur theoretische Kenntnisse zu erwerben, sondern auch praktische Erfahrungen zu sammeln. Die Automobilindustrie erfordert spezialisierte Kenntnisse in verschiedenen Bereichen, wie Produktion, Design und Technologie. [Risius 2022].
Für technologische Kompetenzen, die auf Prozessen und konkreten Aufgaben basieren, erweisen sich praxisorientierte Lernmethoden als besonders geeignet. Solche Ansätze vermögen die Realität am authentischsten widerzuspiegeln, wodurch auch die Übertragung des Erlernten in die tatsächliche Arbeitswelt mühelos gelingen kann.
Die Integration von Mensch-Roboter-Kollaboration zur Weiterbildung stellt eine Möglichkeit der praxisorientierten Kompetenzentwicklung dar. Schulungsroboter eröffnen die Möglichkeit, eine unmittelbare Verbindung zur realen industriellen Praxis herzustellen. Durch den Einsatz modularer Lernstationen können praxisrelevante Szenarien in ihrer ganzen Authentizität nachgebildet werden, die die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und Anforderungen in der Industrie widerspiegeln. Dies ermöglicht den Lernenden, sich mit den Abläufen, Technologien und Prozessen vertraut zu machen, denen sie in ihrer beruflichen Tätigkeit begegnen werden.
Ein weiterer Ansatz der praxisorientierten Weiterbildung ist der Einsatz von Virtual Reality zur Förderung technologischer Kompetenzen. Die VR-Technologie schafft eine immersive und interaktive Umgebung, innerhalb derer Lernende die Chance haben, realistische Szenarien zu erleben und praktische Fertigkeiten zu erlangen. Innerhalb des Rahmens technologischer Kompetenzen innerhalb der Automobilindustrie rücken insbesondere folgende Anwendungsbereiche in den Vordergrund: die Vermittlung komplexer Produktionsprozesse, die Darstellung technologischer Abläufe sowie virtuelle Einblicke in Automatisierungstechniken. Angesichts der fortwährenden Erkundung neuer Technologien, wie autonomer Fahrzeuge oder fortschrittlicher Sicherheitssysteme, seitens der Automobilbranche, erweist sich VR als Mittel den Mitarbeiter in eine simulierte Umgebung eintauchen können. Hierdurch erhalten sie die Gelegenheit, die Funktionsweise und das Verhalten dieser neuartigen Technologien ausführlich zu erforschen.
Die Anwendung maßgeschneiderten Lernmedien ermöglicht es KMU in der Automobilindustrie, ihre Mitarbeitenden gezielt auf die spezifischen Herausforderungen und Innovationen der Branche vorzubereiten. Durch das gezielte Training digitaler und technologischer Kompetenzen werden nicht nur die individuellen Fähigkeiten gestärkt, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens Automobilmarkt erhöht.
Zusammenfassung
KMU der Automobilindustrie stehen vor der Herausforderung ihre Wettbewerbsfähigkeit im Zeitalter der Digitalisierung zu erhalten, daher erweist sich die Entwicklung digitaler und technologischer Kompetenzen als unerlässlich. Die Entwicklung digitaler und technologischer Kompetenzen erfordert zunächst eine Beobachtung des aktuellen Status in KMU. Diese Beobachtung kann sowohl auf individueller und abteilungsweiter als auch auf abteilungsübergreifender Ebene erfolgen und ermöglicht Einblicke in spezifische Unternehmensbereiche. Die ganzheitliche Einschätzung der digitalen Kompetenzen erfordert die Kombination von subjektiven und objektiven Verfahren. Für technologische Kompetenzen erweisen sich simulationsbasierte Methoden, Programmierungsexperimente und Tests als wirksam, da diese eine umfassende Bewertung und praktische Anwendbarkeit ermöglichen. Die Anwendung erfordert hohen Aufwand und ist kostenintensiv, daher wird auch hier eine Kombination von subjektiven und objektiven Methoden empfohlen.
Für die Vermittlung von digitalen Kompetenzen eignen sich maßgeschneiderte Lernmedien wie E-Learning-Plattformen, Lernvideos, VR und Lernspiele. Durch gezielte Lernmethoden, wie praxisnahe Vermittlung durch Virtual Reality und Mensch-Roboter-Kollaborationen, können KMU technologische Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden weiterentwickeln und sie auf die Anforderungen der Branche vorbereiten, sei es in der Softwareentwicklung, Datenanalyse oder Robotik. Die kontinuierliche Weiterentwicklung digitaler und technologischer Fähigkeiten sichert nicht nur die individuelle Entwicklung, sondern stärkt auch die Wettbewerbsposition der Unternehmen in der Automobilindustrie.
Quellen
[ABL. C 189 vom 04.06.2018]
Amtsblatt der Europäischen Union (04.06.2018). Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2018 zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen
[Süßenbach et.al 2021]
Süßenbach, F., et. al. (2021). Future Skills 2021 – 21 Kompetenzen für eine Welt im Wandel, Diskussionspapier Nr. 3, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. und McKinsey & Company, Essen
[Kauffeld 2021]
Kauffeld, S.(2021). Das Kompetenz-Reflexions-Inventar (KRI) – Konstruktion und erste psychometrische Überprüfung eines Messinstrumentes. https://doi.org/10.1007/s11612-021-00580-y
[Beimborn und Hildebrandt 2021]
Beimborn, D.; Hildebrandt, Y (2021). Wissenschaftliche Ansätze zur Identifikation und Messung digitaler Kompetenzen, in: Ramin, P. (Hrsg.), Handbuch Digitale Kompetenzentwicklung, Carl Hanser Verlag München, 978-3-446-46738-5
[Risius 2022]
Risius, P. (2022). Erfolgsfaktoren für mehr Digitalisierung in der Ausbildung, Institut der deutschen Wirtschaft e.V, Köln